Energiedialog 2018 | Blackout

Realistisches Szenario oder Panikmache?

Die Unternehmerinitiative Neue Energie Solothurn (NESO, Anm. heute AEE SUISSE Solothurn) und die Aktion für eine vernünftige Energiepolitik in der Schweiz (AVES Kanton Solothurn) führten mit dem Energiedialog 2018 bereits den dritten gemeinsamen Anlass durch. Ziel der Organisatoren ist die Förderung des sachlichen Dialogs in der kantonalen Energiepolitik. Rund 120 Gäste aus Wirtschaft, Politik, Verwaltung und Zivilgesellschaft verfolgten drei Kurzreferate und ein interessantes Podium und genossen den anschliessenden Apéro mit angeregten Diskussionen und spannenden Gesprächen.

Kurzreferate zur wirtschaftlichen Landesversorgung, Forschung und Wirtschaft

Den Start in die Serie von drei Kurzreferaten machte Werner Meier, Delegierter für wirtschaftliche Landesversorgung. Meier brachte den Anwesenden die Organisation und Aufgaben der «Wirtschaftlichen Landesversorgung (WL)» näher. Diese ist in der Bundesverfassung verankert und basiert auf dem Modell einer Public Private Partnership (PPP). Das Erfolgsrezept: Rund 250 Experten aus der Privatwirtschaft arbeiten eng zusammen, um die wirtschaftliche Landesversorgung sicherzustellen und bei Bedarf Massnahmen zu treffen. Das rund 40-köpfige Bundesamt für wirtschaftliche Landesversorgung BWL bildet quasi das Back Office für diese Experten. Bei einem Blackout handelt es sich laut Werner Meier um eine technische Störung im Stromnetz, diese wird durch die Netzbetreiber behoben, die WL ist nicht im Spiel. Bei einer länger andauernden Strommangellage hingegen erfolgen Bewirtschaftungsmassnahmen zur Verhinderung eines Blackout durch die WL. Solche Massnahmen reichten von Sparappellen, Verwendungseinschränkungen, Kontingentierung bis hin zu periodischen Netzabschaltungen. Laut Werner Meier handelt es sich bei der WL um eine Art Versicherung, welche für 13 Franken pro Kopf und Jahr Pflichtlager bewirtschaftet, die bei Mangellange gebraucht werden. Dies ist zurzeit beispielsweise bei Benzin und Heizöl der Fall. Der tiefe Wasserstand des Rheins bremst den Nachschub von Gütern auf dem Wasserweg.

Dr. Florian Roth forscht im Team “Risiko und Resilienz” am Zentrum für Sicherheitsstudien (CSS) der ETH Zürich. Er zeigte in seinem Referat auf, welche teils massiven Auswirkungen ein Brown- oder Blackout auf Wirtschaft, Bevölkerung und Umwelt haben kann. Dazu gehören die erschwerte Arbeit der Rettungsdienste, Ausfall von Personal, Produktionsausfälle, Ausfälle von Kläranlagen, Austritt von Gefahrenstoffen etc. Einen besonderen Fokus legte Roth bei seinen Ausführungen auf verwundbare Gruppe wie beispielsweise ältere Menschen, welche bei einem Blackout auf keinen Fall vergessen gehen dürfen. Bezüglich des Risikos einer Strommangellage oder eines Blackouts konnte Roth keine Entwarnung geben. Das durchaus realistische Szenario einer Strommangellage gehöre zu den Toprisiken für die Wirtschaft, und auch das Szenario «Blackout» sei nicht unrealistisch. Was die Zukunft angehe, so seien die Risiken nur schwer abzuschätzen. Klar sei, dass zunehmende Gefahren (Technik, Politik, Umwelt), zunehmende Verwundbarkeiten (Cyber-Abhängigkeiten, Internet of Things), aber auch neue Möglichkeiten (Machine Learning, Artificial Learning, dezentrale Organisationsformen) auf uns zukämen. Die Entwicklungen gelte es auf jeden Fall im Auge zu behalten. Ein wichtiger Aspekt von Roths Forschung bildet die Frage der Resilienz (Widerstandsfähigkeit) der Gesamtgesellschaft. Sicherlich brauche es Massnahmen aus der Privatwirtschaft und staatliche Massnahmen, sehr wichtig sei aber auch das Bewusstsein in der Bevölkerung. Dazu gehöre ein gesundes Risikobewusstsein, die Überwindung des «Verwundbarkeitsparadoxes», die Unterstützung vulnerabler Gruppen, individuelle Verantwortung & Notfallversorge. So kannten laut Roth weniger als die Hälfte einer Gruppe von Befragten die Anweisungen, wie bei einem Blackout vorzugehen sei. Sein persönliches Fazit: Vorbeugung & Vorsorge fordern das Engagement aller gesellschaftlichen Akteure.

Marcel Nachbur, Head Major Incident-, Problem- & Complaint Management bei Swisscom Enterprise zeigte im dritten Inputreferat auf, welche Vorkehrungen sein Unternehmen tagtäglich trifft, um die Sicherung und Zugänglichkeit von Daten aber auch die Aufrechterhaltung der Kommunikation zu gewährleisten. Am Beispiel Data Center Bern und Zollikofen illustrierte Nachbur die Risikoüberlegungen bei der Standortbestimmung. Zudem zeigte er auf, wie diese «gespiegelten» Rechenzentren funktionieren, um jederzeit eine hohe Verfügbarkeit sicherzustellen. An den Beispielen «Stromausfall Zürich», wo der Betrieb von Mobilfunkantennen dank Batterien über Stunden aufrecht erhalten werden konnte und «Bondo» (Felssturz, 2017) wo die mobilen Infrastrukturen kurzfristig erweitert wurden, zeigte Nachbur auf, bis zu welchem Grad die Swisscom mit solchen Ereignissen umgehen kann.

Vom Wissen zum Handeln | Podium

«Was macht Ihnen zurzeit am meisten Sorgen?», dies die Einstiegsfrage von Rolf Schmid, TEAG Advisors, an Werner Meier. Dieser sorgt sich aufgrund der Verknappung des Mineralöls, das Konzept funktioniere allerdings, die Versorgung sei gewährleistet. Florian Roth weist in der Diskussion darauf hin, dass die Wahrnehmung von Krisen saisonal und kurzlebig ist. «Wenn Leute ernst genommen werden, dann übernehmen sie auch Verantwortung», so Roth. Leute seien interessiert an Informationen zu Risiken und Handlungsempfehlungen, insbesondere mit lokalem Bezug. Werner Meier stimmt dem zu und weist auf das Vorgehen der WL hin, vor der Katastrophe zu informieren und zu sensibilisieren, um Vertrauen zu schaffen. Die Swisscom erlebe mehrmals im Jahr in einem grossen Ausmass Cyberattacken, so Marcel Nachbur. Diese konnten bis jetzt immer abgewendet werden. Der wahrscheinliche Grund dafür sei Internetkriminalität. Werner Meier ergänzt, dass mit Internetkriminalität heute grössere Umsätze erzielt würden als mit dem Drogenhandel, auch die Alpiq sei betroffen von solchen Attacken. Das wichtigste sei das Erkennen von Angriffen, danach kämen die Resilienzmassnahmen. Dies gelte ganz generell, nicht nur für den Strombereich. Florian Roth weist noch auf einen weiteren kritischen Punkt hin. Es gebe quasi zu wenige Krisen, welche die Systeme «testen». Denn nur regelmässig getestete Systeme könnten wirklich resilient werden.

Die Podiumsteilnehmenden und auch das Publikum sind sich einig: Zukünftige Versorgungsengpässe, im Strombereich bis hin zu Blackouts, sind durchaus realistisch, es dürfe aber keine Panik verbreitet werden, Wissen und Vorbereitungen seien dafür essentiell. Zu guter Letzt wird durch Werner Meier ein alter Slogan wiederbelebt: «Kluger Rat, Notvorrat». Eine Studie zeige, dass Leute bei Aktionen zuschlagen, um bei unerwarteten Besuchen ausgerüstet zu sein. Es spiele eigentlich keine Rolle, weshalb der Notvorrat da sei. «Hauptsache, er ist da.» Und wenn in einer Notsituation die Ruhe bewahrt werde und das Telekommunikationsnetz nicht unnötig belastet werde, sei dies ideal, so Marcel Nachbur von der Swisscom.